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Der Meister und der Testarossa

15 novembre 2019

Susanna Legrenzi

Obwohl er wie Enzo Ferrari aus Modena stammt, hatte Franco Fontana, einer der Meister der italienischen Fotografie, noch nie ein Auto der Rennsportlegende fotografiert. Bis eines Tages eine zufällige Begegnung zu einem der ikonischsten Fotos eines Ferrari Testarossa führte.


Riccione, 1985. Franco Fontana, geboren 1933 in der Emilia, einer der berühmtesten Fotografen Italiens und Weltbürger, ohne ein Wort Englisch zu sprechen, erhält einen Anruf von einer US-amerikanischen Zeitschrift, die ihn mit einem Bericht über den Ferrari Testarossa beauftragt. Und damit beginnt die Geschichte.  „Ich war kein großer Autofan, aber für uns aus Modena war der Testarossa schon immer eine Ikone“, erzählt er. „Also habe ich den Leiter des Marketings von Ferrari angerufen, und der hat mir einen Testfahrer zur Verfügung gestellt.

Gemeinsam sind wir nach Riccione gebraust. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, den Testarossa vor den Kabinen zu fotografieren, aber ich war nie zufrieden. Kurz vor Sonnenuntergang, als wir schon wieder auf dem Rückweg waren, sah ich eine Baustelle am Meer. Wir parkten am Strand. Es war Ebbe. Der Testarossa spiegelte sich im Wasser. Aber auch das reichte mir noch nicht. In dem Moment kam rein zufällig eine Gruppe Jugendlicher mit einem Hund vorbei.

Es war ein Dalmatiner. Kein Dackel, kein Wolf, sondern ein Dalmatiner mit einem Fell, das so schwarz-weiß gefleckt war wie die Felsen im Hintergrund. Das ist es, dachte ich. Und so war es. Über die Jahre habe ich alle möglichen Kommentare zu diesem Hund gehört. Sogar dass er aus Porzellan sei. Wenn ich in meinen Fotografie-Workshops von der Entstehung dieses Bildes erzähle, zeige ich immer die Fotos von dem Hund aus allen Perspektiven: von vorn, von hinten, von oben, von unten… Damit will ich sagen, dass der Zufall – nicht nur bei dieser Anekdote – erst dann zu einem Foto wird, wenn er auch richtig wahrgenommen wird.“ Zurück in Modena überreicht Fontana die Aufnahmen dem Leiter des Marketings. Für Enzo Ferrari ist es Liebe auf den ersten Blick. Er verlangt eine Lithografie. Er unterschreibt 50 Drucke und verwandelt so einen Tag in Riccione in eines der ikonischsten Bilder des Testarossa.

Ob er den Gründer der Scuderia Ferrari gekannt habe? „Ja, wir aus Modena kannten uns alle untereinander“, vertraut Fontana mir an. „Ich erinnere mich noch an die Abendessen, die die Gemeinde zu seinen Ehren veranstaltet hat. Er kam immer pünktlich, plauderte freundlich mit allen, trank nur Wasser und verabschiedete sich höflich um 22:30 Uhr. Einmal hat er auch in meinem Möbelgeschäft vorbeigeschaut, denn bis 1971 führte ich einen Designer-Showroom, den allerersten in Modena. Er suchte eine Couch für sein Büro. Er hat sich ein bisschen umgesehen. Zum Auswählen hat er dann aber seine Sekretärin geschickt.“

Ein Nachmittag mit Fontana ist ein bisschen wie ein Besuch beim Psychoanalytiker. Nicht bei einem Freudianer, sondern bei einem Zen-Analytiker, der erzählt und einen dabei von der anderen Seite eines großen Tisches ansieht, in einem Raum voller Bücher, Gemälde, Keramiken und Kristallen aus der ganzen Welt. Auf dem Tisch liegt seine Autobiografie, die in Modena beginnt und, nach abenteuerlichen Reisen über fünf Kontinente, wieder dort endet. Daneben liegen Erinnerungsstücke aus dem ersten Portfolio, das die Zeitschrift „Popular Photography“1964 von ihm veröffentlichte, die Modefotos für die „Vogue America“, die Fotos aus den Kampagnen für die größten Unternehmen auf dem Markt, von Verkehrsunternehmen bis hin zu solchen aus dem Freizeitbereich und eine Liste von einigen der über 400 Ausstellungen, die diesem Meister der Farben ihre Huldigung erwiesen haben, von der in der Maison Européenne de la Photographie in Paris bis zur jüngsten ihm gewidmeten Ausstellung mit dem Titel „Franco Fontana Sintesi“ („Franco Fontana: Synthese“) bei der Fondazione Modena Arti Visive in Modena.  Dieser Fontana, der eine Baustelle in Frankfurt in ein Gemälde von Paul Klee verwandelt, einen Strand in Florida in einen vollkommenen Ort, ein Detail der New Yorker Architektur in ein abstraktes Fragment... was ist sein Geheimnis?

„Man muss das fotografieren, was man denkt, nicht das, was man sieht. Man fotografiert mit dem Kopf, nicht mit den Händen. Eine Landschaft kann noch so perfekt sein: Solange der Fotograf nicht bereit ist, sein eigenes Inneres zu erkunden, wird das Foto stumm bleiben. Eine künstlerische Fotografie ist keine Postkarte. Der Künstler wird erst dann zum Künstler, wenn er eine eigene Welt erschafft.“

 

 

 

15 novembre, 2019