Leidenschaft
Wo Enzo speiste
Nachdem er den Vormittag damit zugebracht hatte, mit Autodesignern über Aerodynamik zu diskutieren oder sich von seinen Ingenieuren über die letzten Motortests für die Formel 1 ins Bild setzen zu lassen, spazierte Enzo Ferrari für gewöhnlich aus diesen weltbekannten Fabriktoren hinaus.
Das ehemalige Bauernhaus mit Stall diente zunächst als Kantine für die Ferrari-Belegschaft, bevor es 1950 zum Restaurant Cavallino wurde, das auch dem normalen Publikum offenstand. Die Einrichtung war einfach und rustikal, auf der Speisekarte standen die Gerichte und Zutaten, denen die Emilia-Romagna ihren Ruf als Hochburg der italienischen Küche verdankt. Schnelle Autos trafen auf Slow Food.
Im Laufe der Jahre wurde das Restaurant zur kulinarischen Institution und zu einem ebenso wichtigen Teil der Ferrari-Kultur wie Fiorano oder die Formel 1. Für Enzo wurde es zu seiner cucina personale – seiner privaten Küche, wo er seine Lieblingsgerichte an einem Ort essen konnte, an dem er sich zu Hause fühlte.
Das Restaurant Cavallino, ein ehemaliges Bauernhaus mit Stall, war mit hochlehnigen Holzstühlen an quadratischen Tischen, freiliegenden Holzbalken und weiß getünchten Wänden einfach und rustikal eingerichtet
An Wochentagen kam er mit Ferrari-Managern und manchmal auch mit Rennfahrern hierher. Angeblich gefiel es dem Mann, der am Kopfende des Tisches saß, nicht sonderlich, wenn die Tischgespräche übersetzt wurden. Nicht-italienische Gäste – und damit auch die piloti der Scuderia – mussten zusehen, wie sie der Unterhaltung folgen konnten.
An Samstagen waren Gespräche über Autos streng verpönt. Diese Tage widmete Enzo einer Gruppe von Leuten, die als gli amici di sabato – die Samstagsfreunde – bekannt waren. Beim Mittagessen mit diesem halben Dutzend vertrauter Mitarbeiter genoss man das traditionelle Essen, sprach über die Familie und führte angeregte Diskussionen über das Leben im Allgemeinen. Man pflegte die typisch italienische Lebensweise.
Enzo Ferrari (hinten in der Ecke) speist 1966 im Ristorante Cavallino mit seinen Kollegen. Dieses Dinner war ein Dank für die außergewöhnliche Arbeit des Teams im Vorfeld der Fahrt zum 1000-km-Rennen auf dem Nürburgring.
Gegen den Uhrzeigersinn, beginnend bei Enzo Ferrari:
Ing. Giancarlo Bussi (Verantwortlicher Motortests), Walter Salvarani (Verantwortlicher Getriebe), Giulio Borsari (Leiter Mechanik) und, nur teilweise sichtbar, Franco Gozzi (Leiter Pressestelle)
Von da an wurde der bescheidene saletta zum Anziehungspunkt für Berühmtheiten aus der Welt des Rennsports und darüber hinaus, etwa Paul Newman, den Schah von Persien und Peter Sellers, um nur einige zu nennen. Doch die Liste der Besucher ist damit noch lange nicht zu Ende...
‚Ins Cavallino kamen viele Prominente: Schauspieler, Spitzensportler, Adelige und Mitglieder von Königshäusern‘, erzählt Piero Ferrari, stellvertretender Vorsitzender von Ferrari. ‚Hier wurde auch so manches Kapitel der Formel-1-Geschichte geschrieben. Beispielsweise kamen 1981 Bernie Ecclestone und Jean-Marie Balestre hierher, um den Grundstein für das so genannte „Concorde Agreement“ der Formel 1 zu legen, das im selben Jahr in Paris auf der Place de la Concorde unterzeichnet werden sollte.‘
Zur Klientel gehörten auch ehemalige und heutige piloti wie Niki Lauda, Gilles Villeneuve, Nigel Mansell und Michael Schumacher. Sie alle nahmen es stets mit einer Menüauswahl auf, die ihre strenge Sportlerdiät so richtig ins Wanken brachte.
Enzo galt hier hierzulande als una buona forchetta – wörtlich übersetzt eine ‚gute Gabel‘. Er war also mit einem gesunden Appetit gesegnet. Die Speisekarte des Cavallino war voll mit traditionellen Gerichten. Der in Modena geborene Enzo liebte tortelli in burro e salvia (Tortelli in Butter und Salbei), gefolgt von Risotto mit Parmesan aus dem nahegelegenen Parma. Im Winter gab es bollito misto – einen Fleischtopf mit Brühe und verschiedenen Fleischsorten.
Durch die Zusammenarbeit zwischen Starkoch Massimo Bottura und Architektin India Mahdavi hat die Trattoria einen modernen Touch und eine neue Identität erhalten
Als der Ferrari-Gründer seinen neunzigsten Geburtstag mit einem großen Werksessen feierte, waren weit über fünfzehnhundert ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter eingeladen. Für das Catering sorgte das Cavallino. Die gesamte Fertigungslinie der Achtzylinder-Motoren wurde einen Tag lang angehalten, um sie so herzurichten, dass sie wie das Restaurant aussah.
Nach Enzos Tod 1988 ließ man den privaten saletta zu Ehren seiner hochgeschätzten buona forchetta unverändert. Er wurde aber nicht mehr genutzt.
Das Restaurant Cavallino präsentiert italienische Tradition eher aus einer zeitgenössischen als aus nostalgischen Perspektive; hier wird der Cotechino alla Rossini mit einem mineralischen Trüffel und einer Modenaer Schwarzkirschsauce gekrönt, um den Gaumen zu versüßen
Eine neue rote Fassade schmückt das einstige Bauernhaus, bei den Innenräumen hat India Mahdavi die traditionellen Dekorationselemente der italienischen Trattoria virtuos eingesetzt. Auf dem Boden wurden traditionelle Terrakottafliesen verlegt, die Wände sind mit Eichenholz vertäfelt und natürlich mit Fotos, Postern, Souvenirs und Erinnerungsstücken dekoriert. Maßgefertigtes Mobiliar und eine verpixelte Darstellung des Cavallino Rampante-Logos verleihen dem Lokal eine einzigartige Identität.
Das Ristorante Cavallino nimmt ab sofort Reservierungen entgegen und erwartet seine Gäste mit einer Vision von Gastfreundschaft, die jedem die Möglichkeit bieten soll, Teil der Welt von Ferrari zu sein, die authentische Atmosphäre zu erleben und die Freuden der italienischen Lebensart zu genießen.