DIE CASCINA DER CHAMPIONS
Vincenzo Borgomeo
Ein Bauernhaus im typischen Stil der Region Emilia-Romagna: So präsentiert sich der historische Firmensitz in Maranello seinen Besuchern. Enzo Ferrari war aufgrund der Knappheit, die während des Zweiten Weltkriegs herrschte, gezwungen, ihn auf diese Art und Weise zu bauen. Heute hat sich in seinem Inneren ein architektonisches Hightech-Zentrum entwickelt. Doch immer noch passieren alle neuen Ferraris jenes Tor, aus dem 1947 der erste, zum Mythos gewordene Ferrari 125 S rollte
Das Durchschreiten der Tore in der Via Abetone Inferiore 4 in Maranello hat etwas Magisches an sich: Das Ferrari-Werk, der historische Sitz der Marke, ist – bis heute – die eigentliche Ikone des Cavallino Rampante: ein langes und niedriges, ockergelbes Gebäude mit einem ziegelrot verputzten Zugangstor. Ein Gebäude, das zum einen an eine Cascina – die typischen Bauernhäuser der Poebene – erinnert, zum anderen an eine historische englische Werkstadt. Der bäuerliche Charakter wird durch die Lage inmitten von Wein- und Obstgärten noch verstärkt. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass in dieser alten Anlage Rennboliden und die begehrtesten Supercars der Welt gebaut werden.
Doch es ist genau dieser Kontrast, der – wie wir bereits sagten – den Zutritt in die Welt von Ferrari so magisch macht: Das Tor hat eher den Anschein eines Stargate, eines Wurmlochs, als den einer simplen Sicherheitsvorkehrung, um Neugierige fernzuhalten. Nein, wir sprechen hier nicht von der abenteuerlichen Fiktion eines Fantasy-Romans, denn in Via Abetone Inferiore 4 sieht man exakt das, was sich dort auch befindet: ein alter Eingang zu einem Bauernhof. Sobald man aber das Tor durchschreitet, findet man sich im technologisch fortschrittlichsten Werk der Welt wieder.
Dies alles ist durch historische Umstände bedingt: Nach dem Krieg befand sich das Ferrari-Werk genau in dieser Straße, auf einem circa 17.000 Quadratmeter großen Grundstück des Fondo Cavani. Aus historischen Quellen geht hervor, dass Enzo Ferrari am 4. Dezember 1942 vom Bürgermeister von Maranello die Genehmigung zum Kauf und zur Renovierung einer „großen Metallhütte“ für sein Unternehmen Auto Avio Costruzioni – Scuderia Ferrari erhalten hatte.
Tatsächlich bestand die Renovierung lediglich in der Demontage der Eisenkonstruktionen, die der Nation im Krieg übergeben werden sollten, und dem Wiederaufbau, wobei die Verwendung von Stahlbeton und Eisen ausdrücklich verboten war. Darum nutzte Enzo Ferrari alte Bautechniken: Mauern aus Ziegeln und ein Fachwerkdach aus Holz. Eine Methode, die natürlich auch die Form des Gebäudes selbst bestimmt, genauso wie seine eigentümliche Architektur: ein unregelmäßig angelegter Hof, mit langen Flügeln aus Mauerwerk – aus Ziegelsteinen und ockergelbem Putz – sowie Satteldächer.
Und genau das ist die Seele von Ferrari. Von außen ein alter Bauernhof in der Emilia-Romagna, in dessen Inneren ein Hightech-Herz schlägt. Diese Seele wurde auch in den folgenden Jahren respektiert und wiedererweckt, immer dann, wenn Neuerungen geplant wurden: vom Bau des Windkanals über die GES, die Gestione Sportiva, bis hin zum Zentrum für Produktentwicklung. Auch deshalb, weil, wie bei allen Bauernhöfen, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen (Wohnhäuser, Ställe, Stallungen, usw.) über die Innenhöfe organisiert sind. Im Freien also, mit Rundumblick auf alle Tätigkeitsbereiche der Anlage. Die Höfe des Ferrari-Werks waren einst die einzige Verbindung zwischen den verschiedenen Bereichen des Unternehmens und zeigten die gesamte Arbeit, die im Unternehmen verrichtet wurde. Ganz wie in einem Bauernhof. Und auch in der Gegenwart lebt die Seele der Cascina fort.
Es ist kein Zufall, dass auch heute noch die Gebäude von Ferrari durch Wege durchkreuzt werden, die die verschiedenen Bereiche sowohl horizontal als auch vertikal miteinander verbinden: Dies erleichtert den steten Informationsaustausch zwischen den funktionsübergreifenden Projektteams und erlaubt es, bei allen Phasen des Produktionszyklus hautnah dabei zu sein. Eine magische Anlage, die fasziniert und beeindruckt, auch in ihrer äußeren Erscheinung. Denn die Fassaden – hohe Wände, die keine Trennung, sondern Transparenz bieten – umschließen das Gebäude vollständig und machen gleichzeitig das Arbeitsleben aller für alle, die im Unternehmen arbeiten, sichtbar. Sie erinnert uns daran, dass ein technologisches Produkt von höchstem Niveau immer das Ergebnis einer unermüdlichen Zusammenarbeit aller Systeme ist, die sich an seiner Planung und Produktion beteiligen.
Doch da ist ein Detail, das allein schon mehr als tausend Worte sagt und uns die Kontinuität von Image und Strategie vor Augen führt: Alle Ferraris – vom ersten 125 S bis zum Roma – rollten aus dem Tor aus Ziegelsteinen in der Via Abetone Inferiore 4, wie ein historisches und spektakuläres Bild aus der Vergangenheit bezeugt: Wir befinden uns im Jahr 1947, und der 125 S verlässt das Ferrari-Werk, wie ein Küken sein Nest. Auf ihrem Weg – oder besser gesagt Höhenflug – sollte die Marke noch viel erreichen …