Rennen
Ein besonderer Freund
Mein Vater sagte mehr als einmal zu mir: „Freunde dich niemals mit den Fahrern an, denn früher oder später verlassen sie dich: Entweder wechseln sie das Team oder – bedauerlicherweise – sie sterben.“
Ich weiß nicht, wie sehr er selbst daran glaubt hat, denn ich bin mir sicher, dass er einige Fahrer mehr als Menschen mochte denn als Sportler. Aber ich selbst habe sicherlich nie daran geglaubt, da ich viele von ihnen letztendlich als lebenslange Freunde betrachtet habe. Darunter auch Niki Lauda.
Niki kam zur Weltmeisterschaft 1974 nach Maranello. Mein Vater hatte bereits Clay Regazzoni engagiert. Clay zufolge war der junge Österreicher, der bei BRM sein Teamkollege gewesen war, ein großes Talent und besaß eine Rennsensibilität jenseits der Norm. Nur war Lauda den meisten Menschen fast unbekannt, und wir standen kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen mit Peter Revson, der zu dieser Zeit für McLaren fuhr.
Aber dann kam der Große Preis von Monaco, den mein Vater wie immer aus dem kleinen Haus an der Strecke in Fiorano verfolgte, und Lauda war der Star eines großartigen Rennens in einem Rennwagen, der nicht wirklich mit Tyrrell, Lotus oder McLaren, den zu dieser Zeit dominierenden englischen Teams, mithalten konnte. So kam die Entscheidung zustande, auf ihn zu setzen.
Wenn ich heute in dieser Hightech-Ära darauf zurückblicke, muss ich fast lachen: Clays Rat und das Anschauen eines Rennens im Fernsehen reichten aus, um den Instinkt meines Vaters zu wecken, einen der ‚Piloti‘ zu engagieren, der später Formel-1-Geschichte schreiben würde.
Niki trat 1974 zusammen mit Clay Regazzoni der Scuderia bei – und gewann 1975 seinen ersten Fahrer-Weltmeistertitel
Schon kurz nach seiner Ankunft zeigte Niki, wie gut er als Testfahrer war. Der 312 B3 hatte einige Probleme mit dem Untersteuern, was nicht zu seinem Fahrstil passte, und er konnte es nach und nach beheben. Er hatte eine einzigartige Fähigkeit, sich an alles zu erinnern, was auf der Strecke passierte: So konnte er einem genau sagen, dass er in einer bestimmten Runde in einer bestimmten Kurve einen Fehler bei der Gangwahl gemacht hatte, und er konnte sich sogar daran erinnern, wo einzelne Werbetafeln an den Streckenwänden angebracht waren und wann.
Er war ein echter menschlicher Computer. Aber dieser menschliche Computer machte, nachdem er seinen Helm und Rennanzug abgelegt hatte, eine Verwandlung durch. Wir waren fast gleich alt und gingen abends oft zum Essen aus, meistens ins Fini im Zentrum von Modena. Niki war witzig, er liebte es zu lachen und herumzualbern. Er konnte den Stress des Rennens hinter sich lassen, um einfach ein junger Mann in seinen frühen Zwanzigern zu sein, der mit seinen Freunden ausgeht. Wir wetteten gerne auf die Ergebnisse der Grands Prix, und derjenige, der verlor, bezahlte das Abendessen für alle.
Ich war am 7. September 1975 in Monza, als Regazzoni das Rennen gewann und Lauda als Dritter rein mathematisch den Weltmeister-Titel schon in der Tasche hatte. Ich erinnere mich nicht an die genauen Worte, die wir nach der Preisverleihung zueinander sagten, aber ich erinnere mich, dass wir uns schier endlos umarmten.
Zu den vielen Erinnerungen gehört natürlich auch jene an den schrecklichen Unfall am 1. August 1976 auf dem Nürburgring. Ich besuchte ihn in der darauffolgenden Woche bei ihm zu Hause in Salzburg. Als ich mich dem Tisch näherte, an dem er saß, hörte ich seine Stimme, sie klang wie immer, unbeschwert und ironisch, aber als ich ihn sah, war es ein Schock. Er war mit diesem entstellten Gesicht und den offenen Wunden nicht wiederzuerkennen.
In der Woche vor Monza war er wieder zurück auf der Strecke in Fiorano. Sie hatten ihm einen Helm mit spezieller Polsterung angefertigt, um die Reibung an seinen Wunden zu verringern. Er stieg in den Rennwagen und fuhr los. Gerade als er in der ersten Runde Fahrt aufnahm, geriet er ins Schleudern, sodass uns allen das Herz in die Hose rutschte. Aber dann kam er wieder zurück auf die Strecke und begann, mit den gleichen Zeiten wie immer seine Runden zu drehen.
Piero Ferrari (stehend, Mitte) sieht zu, wie sein Freund Niki 1975 in Monza den Titel holt
Als die Testfahrten vorbei waren, hielt er an der Box an, und als er zu mir kam, sagte ich zu ihm: „Großartig, Niki!“ Es wird dich freuen, du fährst wie früher.“ Aber er schüttelte den Kopf. „Nein, Piero“, sagte er, „es ist nicht wie früher: Als ich zu Beginn ins Schleudern geriet, fühlte ich, wie mein Herz stärker schlug. Und das ist mir früher nie passiert.“
Im darauffolgenden Jahr war Niki jedoch wieder konkurrenzfähig. Es war von Anfang an klar, dass er den Titel zurückerobern wollte, der ihm auf so dramatische Weise entrissen worden war. Wer ihn kannte, war nicht überrascht. Hingegen war es eine echte Überraschung, dass er in derselben Saison 1977 die Scuderia verließ. Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel an einem heißen Augustmorgen.
Niki hatte um einen Termin im Büro in Modena gebeten, und bevor er ankam, fragte mich mein Vater: „Was wird er deiner Meinung nach wollen?“ Eine Änderung am Vertrag?“ Ich antwortete, dass ich wirklich keine Ahnung hätte. Bei diesem Treffen waren neben mir und meinem Vater auch Pressesprecher Franco Gozzi und Geschäftsführer Ermanno Della Casa anwesend. Und wir waren alle baff, als wir erfuhren, dass Niki ging, ohne Forderungen zu stellen und ohne einen anderen Vertrag in Aussicht zu haben, und dass er absolut unnachgiebig in seiner Entscheidung war. Etwas, das absolut seiner Persönlichkeit entsprach.
Einige Wochen später trafen wir einander in Monza. Während einer Pause bei den Testfahrten stiegen wir in meinen grauen Fiat 131, nur wir beide, und ich sagte zu ihm: „Niki, okay, du hast dich entschieden zu gehen. Aber es steht ein Weltmeister-Titel auf dem Spiel: Also mach keinen Blödsinn.“ Er starrte mich an, mit diesem entstellten Gesicht, das er weitere vierzig Jahre mit solchem Stolz tragen sollte, und mit diesen Augen, die so durchdringend waren. Dann lächelte er und sagte: „Keine Sorge.“ Er hatte Recht. Er gewann diesen Titel.
Lauda, der menschliche Computer.
Niki, mein Freund.