Die neue Designsprache von Ferrari
Chris Rees
Vom SF90 Stradale bis zum Ferrari Roma: Wie in Maranello eine völlig neue Designsprache geboren wurde
Seit Ferrari im Jahr 2010 eine eigene Designabteilung eingerichtet hat, hat sich das Design in Maranello in neue, mutige Richtungen bewegt.
Diese Entwicklung erreichte 2019 mit der Einführung von nicht weniger als fünf neuen Ferrari-Modellen, die eine neue Ära der Designsprache einläuten, ihren absoluten Höhepunkt. Wie auch gesprochene Sprachen besitzt die Designsprache von Ferrari viele ,Dialekte', um der facettenreichen Zusammensetzung der Modellpalette gerecht zu werden. Gemeinsamer Nenner ist das ausdrucksstarke Selbstbewusstsein, das die perfekte Symbiose von Design- und Ingenieurteams widerspiegelt.
Der Chief Design Officer Flavio Manzoni erklärt: „Einer der Hauptgründe für die Gründung des Centro Stile war, eng mit den Ingenieuren zusammenarbeiten zu können, also Kunst und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Es besteht eine sehr enge Beziehung zwischen Form und Inhalt, zwischen der äußeren Oberfläche und den innen liegenden Komponenten. Vielleicht sind nur Experten wirklich in der Lage, in vollem Maße zu würdigen, wie eng Form und Funktion mittlerweile miteinander verbunden sind.“
Das erste der fünf neuen Modelle, die im Laufe des Jahres 2019 präsentiert wurden, war der F8 Tributo, zu dem der Leiter des Designteams, Carlo Palazzani, erläutert: „Die Form des F8 Tributo ist für einen Ferrari Berlinetta ziemlich revolutionär; es ist der extremste Look, der je an einem solchen Auto zu sehen war. Er bildet die Brücke zu einer neuen Designsprache von Ferrari.“
Was der F8 Tributo bereits andeutete, wurde wenig später mit der Präsentation des SF90 Stradale von Ferrari überdeutlich, denn dieses wahrhaft epochale Auto erfindet die Proportionsregeln von Berlinetta-Sportwagen mit Mittelmotor gänzlich neu.
„Das Design liegt irgendwo zwischen einem Rennwagen und einem Raumschiff“, sagt Flavio Manzoni. „Das Cockpit verfügt wie Cockpits aus der Luftfahrt über einen kleinen Vorderbereich, wodurch das Kabinen-Design nach vorne versetzt wirkt. Dadurch entsteht eine große Spannung zwischen Fahrzeugfront und Fahrzeugheck – ein Schleudereffekt.“
Die Vorwärtsorientierung des Cockpits des SF90 Stradale hat vielleicht auch eine symbolische Bedeutung: Das Design ist zukunftsweisend und innovativ. Es entspricht perfekt der Mission des Autos, als extremes Supercar aufzutreten, bei dem Leistung und Technologie im Vordergrund stehen.
Einer der wichtigsten Bereiche, in denen Design und Leistung synergistisch wirken, ist die Aerodynamik. Der F8 Tributo zum Beispiel verfügt über vordere ,Kanäle', die nicht nur Luft zur Kühlung der Bremsen ins Innere leiten, sondern auch ein starkes Designelement formen, das sich in den seitlichen Lufteinlässen der Karosserie wiederholt.
Natürlich muss jedes neue Modell auf den ersten Blick als Ferrari erkennbar sein. Doch auch wenn die neuesten Entwürfe zweifellos von Maranellos ikonischen Klassikern inspiriert sind, sind sie entschlossen auf die Zukunft ausgerichtet.
Das Heckdesign des SF90 Stradale sei ein Paradebeispiel dafür, so Manzoni: „Die fliegenden Streben am Heck sind ein sehr charakteristisches Element für Ferraris – wie zum Beispiel beim 330 P4 – doch hier präsentieren sie sich in einer absolut futuristischen Interpretation.“
Auch die Beleuchtung ist – geradezu buchstäblich – wegweisend. So erlaubt zum Beispiel die LED-Technologie des F8 Tributo den Einsatz von sehr kompakten Scheinwerfern, die so Platz für kühlende Luftansaughutzen oberhalb der Leuchten bieten. Die Scheinwerfer des SF90 Stradale entfernen sich deutlich von der L-förmigen Optik und präsentieren stattdessen ein schlankes Schlitzdesign, während die Rückleuchten nicht mehr kreisförmig sind, sondern oben und unten abgeschnitten wurden, um einen stark aggressiven Look zu erzielen.
Das Design spielt im Inneren des Autos eine genauso große Rolle wie außen. Beim SF90 Stradale beeinflusst die vom Rennsport abgeleitete Philosophie „Augen auf die Straße, Hände ans Lenkrad“ das Aussehen des Innenraums maßgeblich. So dient beispielsweise als volldigitales Kombiinstrument ein 16 Zoll großer, gebogener HD-Bildschirm, der vollständig über ein innovatives Touchpad am Lenkrad konfigurierbar ist.
Das letzte Auto, das Ferrari 2019 präsentierte, ist der Roma. Er zeichnet sich durch ein völlig gegensätzliches Design aus, das vom goldenen Zeitalter der italienischen ,Dolce Vita' der 1960er Jahre inspiriert ist, dessen Zentrum Rom war.
Der Roma bringe einen ultramodernen Minimalismus zum Ausdruck, wie Flavio Manzoni erklärt: „Die lange Motorhaube und das kompakte Coupé-Greenhouse erinnern an die italienische Designsprache der sechziger Jahre, doch dieses Auto ist in keinster Weise nostalgisch. Es ist extrem modern: mit einer Seele der sechziger Jahre, verpackt in zeitgenössisches Design.“
Matteo De Petris, der Leiter von Advanced Design, fügt hinzu: „Wir haben lange und intensiv an der Form des Innenraumvolumens gearbeitet, um das Auto noch schlanker zu machen, mit markanter Delfin-Nase und zurückgesetzten A-Säulen.“
Dieses Gefühl von schlichter, verführerischer Eleganz würde auch im Innenraum fortgesetzt, wie der Interior Lead Designer Fabio Massari erklärt: „Wenn man die Tür öffnet, stößt man auf zwei einladende, fast symmetrische Innenräume, zwei Zellen, die sich um Fahrer und Beifahrer hüllen.“
Der Roma besetzt ein Extrem des Designspektrums, der SF90 Stradale hingegen ist ganz am anderen Ende dieses Spektrums angesiedelt. Diese Gegensätze machen ganz klar deutlich, wie sich Ferraris neue Designsprache in extrem unterschiedliche, doch stets aufregend frische Richtungen entwickelt.