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Mythbusters: Allradantrieb
Der Allradantrieb hat zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Ursprünglich war diese Technologie Geländefahrzeugen vorbehalten, die auf schwierigem Terrain zusätzliche Traktion benötigten. Doch schon bald erkannte man, dass sie die dynamische Bandbreite von Autos im Allgemeinen erheblich verbessern konnte. Der FF, Ferraris erstes Serienfahrzeug mit Allradantrieb, kam 2011 auf den Markt, und heute verfügen sowohl der 499P, dreimaliger Gewinner bei den 24 Stunden von Le Mans, als auch der F80 über eine elektrifizierte Vorderachse. Das Ergebnis ist ein beispielloses Fahrverhalten.
Eine packende Geschichte – klicken Sie hier, um Ferraris Allradantrieb-Geschichte anzusehen
Tatsächlich hatte Ferrari schon seit Jahren mit Allradantrieben experimentiert, wobei der 408 4RM – (I)ruote motrici(I) – zu den bemerkenswertesten Konzepten des Unternehmens gehörte. Es heißt, dass Ferraris technischer Direktor, der 2022 verstorbene Mauro Forghieri, oft über die Möglichkeit eines Allradantriebs in der Formel 1 nachdachte. Doch in den 1980er Jahren war diese Art von Motor die vorherrschende Technologie in der äußerst populären Rallye-Weltmeisterschaft. Auch japanische Autohersteller experimentierten damit.
Der 408 4RM wurde von einem 4,0-Liter-V8-Motor angetrieben, der bereits beim Modell 328 zum Einsatz gekommen war. Es wurden zwei Exemplare hergestellt: Eines hatte ein Fahrgestell aus Stahl, das andere eine Struktur aus Verbundaluminium mit Karosserieteilen aus Verbundmaterial und einer Trennwand aus Magnesium. Das Allradantrieb-System nutzte ein Mitteldifferential und eine hydraulische Kupplung für eine Drehmomentverteilung von 29/71 zwischen Vorder- und Hinterachse. Der stellvertretende Vorsitzende Piero Ferrari begrub das Projekt 1991 mit der Begründung, das System stehe aufgrund seines zusätzlichen Gewichts im grundsätzlichen Widerspruch zur Ingenieursphilosophie von Ferrari.
Ferraris Allradantrieb-Experimente begannen mit dem 408 4RM-Konzept
Die Gewichtseinsparung war ein wesentlicher Bestandteil des neu aufgelegten 4RM-Systems, einer höchst innovativen Lösung, die das Herzstück des FF von 2011 bildete – das Akronym stand für Ferrari Four. Sein V12-Motor war hinter der Vorderachse positioniert, was den Ingenieuren ermöglichte, ein zweites, kompaktes Getriebe davor unterzubringen. Eine Power Transfer Unit (PTU) fungierte effektiv als Zweiganggetriebe, das die Kraft über zwei elektronisch gesteuerte, hydraulische Mehrscheiben-Nasskupplungen (eine für jedes Rad) auf die Vorderräder verteilte. Das Vorderradgetriebe konnte die Drehzahl der Hinterräder anpassen und die Drehmomentverteilung verteilte die Kraft seitlich.
Eine geniale Lösung, nicht zuletzt, weil diese Konfiguration den erforderlichen Hardwareaufwand reduzierte – es gab kein Mitteldifferential und keine mechanische Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse. Dies bedeutete, dass das System etwa halb so viel wog wie ein herkömmliches Allradsystem. Außerdem konnte der FF dadurch einen niedrigeren Schwerpunkt und eine optimale Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse beibehalten.
Die Steuerelektronik des Systems war in das E-Diff- und F1-Trac-Traktionskontrollsystem integriert und der FF war auch der erste V12-Ferrari, der ein Doppelkupplungsgetriebe verwendete. Den Kunden dürfte die zusätzliche Eis-/Schnee-Einstellung am Lenkrad-Manettino aufgefallen sein. Der Launch mit Medienkampagne des FF fand auf den schneebedeckten Berggipfeln der Dolomiten statt, wo seine Leistungsfähigkeit unter schwierigsten Bedingungen umfassend unter Beweis gestellt wurde.
Der FF von 2011 war der erste Allradantrieb-Serien-Ferrari. Der GTC4Lusso (blau) folgte
Der GTC4Lusso (2016) entwickelte die Formel des FF weiter und erhöhte die Leistung auf 690 PS. Doch es war der 1000 PS starke SF90, der wirklich dort anknüpfte, wo der 408 4RM Jahre zuvor aufgehört hatte. Es war der erste Mittelmotor-Serienwagen von Ferrari mit Allradantrieb, ein Merkmal, das sicherlich entscheidend zu seiner Rundenzeit in Fiorano beitrug: Mit 1 Minute und 19 Sekunden ist er sieben Zehntelsekunden schneller als der LaFerrari. Das Auto kombiniert einen 4,0-Liter-V8-Motor mit drei Elektromotoren: Einer sitzt zwischen Motor und Getriebe, zwei weitere im vorderen Bereich treiben jeweils die Vorderräder an.
Diese Hybridkonfiguration bietet nicht nur einen Allradantrieb, sondern sorgt zudem für Torque Fill zwischen den Gangwechseln sowie Torque Vectoring zur Verbesserung von Lenkverhalten und Wendigkeit. Eingefleischte Anhänger des Heckantriebs brauchen keine Angst zu haben: Dieser Ferrari verfügt über erstaunliche Fahreigenschaften. Und die Möglichkeit, bis zu 28 km im Elektromodus zurückzulegen …
Der Ferrari Purosangue erweitert die FF- und GTC4Lusso-Formel um vier Türen und eine größere Bodenfreiheit
Der Purosangue entspricht vom Aussehen her eher den allgemeinen Vorstellungen von einem Allradfahrzeug; tatsächlich aber baut er auf den Grundlagen auf, die der FF und der GTC4Lusso gelegt haben. Zwar ist die Bodenfreiheit höher als bei den Vorgängermodellen und er hat vier Türen, aber dynamisch gesehen haben wir es mit einem echten Ferrari zu tun. Das Modell besitzt einen Front-Mittelmotor, eine hintere Transaxle und einen Nebenabtrieb, der über zwei Kupplungen die Kraft auf die Vorderräder überträgt. Der Allradantrieb ist stark heckbetont, um die gewohnte Ferrari-Dynamik zu bewahren.
Die Vorderachse schaltet sich ein, wenn die Bedingungen es erfordern, um maximale Stabilität zu gewährleisten, jedoch nie auf Kosten des Fahrvergnügens.
Der F80 baut auf dem Know-how des benzinelektrischen Allradantriebs des SF90 und des Le-Mans-Siegers 499P auf
Ferraris Einsatz im Bereich Allradantrieb erreicht mit dem neuen Supercar F80 einen Höhepunkt: Mit einer Leistung von 1200 PS stellt es einen neuen Rekord unter den Ferrari-Straßenautos auf. Das Modell mit unverkennbarer Rennsport-DNA verfügt wie sein Rennsport-Äquivalent – der 499P – über zwei vorne montierte Elektromotoren, einen Wechselrichter und ein Kühlsystem für die Torque-Vectoring-Funktion. Insgesamt werden 281 PS an die Vorderachse übertragen; der Wechselrichter wiegt lediglich 9 kg und ist in die Achse integriert.