Kolbenpower

27 März 2019

Roland Löwisch

Mahle - Ferrari-Lieferant von Kolben aus Leichtmetall - vereint Technologie mit Tradition, wie wir bei einem Besuch in Stuttgart sehen konnten


Vor beinahe 100 Jahren machten sich in einer kleinen Werkstatt bei Stuttgart zwei deutsche Brüder daran, den Kolben neu zu erfinden. Der Betrieb wuchs und gilt heute als weltweiter Marktführer: Mahle Motorsport GmbH, Hersteller der besten Schmiedekolben der Welt. Mahle gilt als Garant für einzigartige Beständigkeit bei extremer Belastung, weshalb Ferrari den Betrieb seit Mitte der 1970er Jahre als Lieferant für seine V8- und Formel-1-Motoren nutzt.

„Ferrari arbeitet mit hohen Motordrehzahlen und unterscheidet sich darin stark von anderen Herstellern“, erzählt Fred Türk, Vice President Mahle Engineering Services und Motorsport. „Aufgrund niedriger Produktionsmengen können wir neue Ideen berücksichtigen und weiterentwickeln, die normalerweise aufgrund der Kosten undenkbar wären.

Darum macht es soviel Spaß, mit Ferrari zu arbeiten.“ Mahle – dessen Bauteile sich mittlerweile weltweit in jedem zweiten Auto finden – produziert circa hundert Millionen Kolben pro Jahr, davon ungefähr 60.000–80.000 für Ferrari. Viele Motoren von Ferrari funktionieren mit regulärer Gusstechnologie. Doch die meisten Ferrari GT-Modelle sind ausschließlich mit hochfesten Schmiedekolben von Mahle ausgestattet. Obwohl aus denselben Legierungen hergestellt, verfügen Schmiedekolben über eine feinere Mikrostruktur und dünnere Wände, was sie leichter macht. 2018 wurde der V8-Motor des 488 Pista – der stärkste Ferrari V8-Motor aller Zeiten – zum dritten Mal in Folge zum „International Engine of the Year“ gekürt, und auch zum besten Motor der letzten 20 Jahre. Für Mahle und Ferrari ein echter Grund, stolz zu sein.

Im Gegensatz zu Gusskolben, bei denen Aluminiumschmelze in eine Gussform gegossen wird und dann erstarrt, werden bei Schmiedekolben vorerhitzte Aluminiumbarren in eine Form gepresst. Die Pressung wird durch ein Erhitzen auf 500 °C in einem Schweißherd gehärtet und anschließend in Wasser auf 20 °C schockgekühlt, um die Legierung zu härten. Dann wird sie abermals erhitzt, um Rissbildung entgegenzuwirken. An bestimmten Stellen der Oberfläche wird eine geheime Mahle-Beschichtung angebracht. Türk erklärt: „Die wichtigsten Aspekte bei der Herstellung von Kolben sind Präzision, Sauberkeit und Rückverfolgbarkeit.“

Dementsprechend wird jeder Kolben mit einem spezifischen ID-Code gekennzeichnet, so dass bei manueller Prüfung entdeckte Fehler zugeordnet werden können. Der Toleranzbereich liegt bei einem Fünftausendstel eines Millimeters. Genausoviel wie ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haars. Jede Zylinderreihe eines Ferrari V8 nutzt unterschiedliche Kolben. Das bedeutet, dass jeder Kolben einen DataMatrix-Code hat, durch den er dem entsprechenden Zylinder zugeordnet werden kann. „Wir tragen eine chemische Nickel-Dispersionsbeschichtung auf die Buchsen auf, um sie vor Abrieb und Verschleiß zu schützen“, fügt Türk hinzu. Bei Kolben für die Formel 1 ist „Klopffestigkeit“ wichtiger als Langlebigkeit.

Nach dem Wärmehärten wird jede Pressung in einem Hochgeschwindigkeitsfräser (45.000 U/min) bearbeitet, dann mit Nabenbuchsen aus Kupferlegierung bestückt und in Ringträgern aus Sinteredelstahl geschmiedet. Am Kolbenboden wird eine chemische Nickelbeschichtung angebracht. Der fertige Rennkolben wird dann mit Hilfe von Fluoreszenzfarbe und UV-Licht auf Risse untersucht. „Wie man sieht, handelt es sich um Hochpräzisionsbauteile“, sagt Türk. „Sie sind kleine Kunstwerke, und wir stellen nur einige hundert davon pro Jahr her.“

Straßengängige Kolben für GT-Modelle mit V8-Motor erreichen eine hohe Drehzahlleistung für voraussichtlich mindestens 200.000 Kilometer. Kolben für die Formel 1 hingegen haben eine maximale Lebensdauer von nur 7.000 Kilometern. Eine Prüfung nach der Gebrauchsphase ist von essenzieller Bedeutung. „Sie werden gesäubert, vermessen und auf Risse und Resthärte hin untersucht.

Das ermöglicht es uns, den besten Zylinder in einem bestimmten Motor zu ermitteln. Unsere Aufgabe ist es dann, alle anderen Zylinder auf dieses Level zu bringen.“ Tatsächlich sind Mahle und Ferrari Forschungs- und Entwicklungs-Partner. Ihre Zusammenarbeit im Jahr 2015 führte zur Entwicklung eines neuen Vorkammerzündsystems, um den Kraftstoffverbrauch bei der Formel 1 zu reduzieren. „Heute”, lacht Türk, „nutzen zahlreiche Hersteller eine Weiterentwicklung dieser Technologie für ihre straßengängigen Sportwagen.“