Rennen
Lewis in Rot
In der 99. Ausgabe von „Unerwartete Gespräche“ sprechen wir mit Lewis Hamilton über die Erstverfilmung von „Dune“. „Ein Genie und seiner Zeit weit voraus“, so seine Meinung über David Lynch, den kürzlich verstorbenen Regisseur des Films. „Die Leute müssen gedacht haben, er sei verrückt.“
Auch Lewis Hamilton ist vielleicht nicht so, wie man auf den ersten Blick denken würde. Einige Fakten wissen wir mit Sicherheit: Er ist ein Ritter des Order of the British Empire und statistisch gesehen der erfolgreichste Formel-1-Fahrer aller Zeiten – mit bislang 105 Rennsiegen, 104 Pole Positions und ganzen sieben Weltmeistertiteln. Und als er 2025 zur Scuderia Ferrari HP kam, versetzte das die Motorsportwelt in Aufruhr. Zwei der größten Namen des internationalen Sports haben sich zusammengeschlossen, mit dem Potenzial, epochale Leistungen zu erzielen.
Doch Hamilton ist auch jemand, der sich unermüdlich für Vielfalt und Inklusion einsetzt, ein Verfechter des Wandels und des positiven Denkens, in einer Zeit, in der es, gelinde gesagt, schwierig ist, ein solches Mindset aufrechtzuerhalten. Er ist ein Megastar des Sports, mit der Fähigkeit, das „große Ganze“ zu sehen. Nur wenige Formel-1-Fahrer, wenn überhaupt, können eine ähnliche Bandbreite bedeutender Aktivitäten außerhalb des Sports vorweisen, die von der Mode bis zur Filmproduktion reichen. Kreative Ausdrucksformen, die auf eine vielversprechende Zukunft hindeuten – auch nach einem Rückzug aus dem F1-Rennsport. Hamilton hat die Vorstellung davon, was ein Rennfahrer sein kann und vielleicht sein sollte, völlig revolutioniert.
Als lebenslanger Ferrari-Fan ist er fest entschlossen, für das Team zu gewinnen. Wir treffen uns in den Räumlichkeiten der Scuderia an der Rennstrecke von Fiorano, geschützt vor der sengenden Sommerhitze. Er lächelt und erkundigt sich, wie es uns geht. Der Handschlag von Hamilton könnte Kies zermalmen. Er ist professionell, aber herzlich. Darüber hinaus strahlt er ein Charisma aus, das direkt sichtbar ist.
„Bei Ferrari geht es um Geschichte, das Wappen und was es symbolisiert“, sagt Lewis
Ferrari Magazine: Wie hat es sich angefühlt, als du zum ersten Mal im Ferrari SF-25 gesessen hast?
Lewis Hamilton: Nun, ich befinde mich mittlerweile in einer anderen Phase meines Lebens: Ich bin jetzt 40 und war 21, als ich zum ersten Mal in einem Formel-1-Auto saß. Man muss sich meinen Weg vor Augen halten: Vom Jungen, der die Formel 1 im Fernsehen verfolgt hat, mit dem Wunsch, selbst auf höchstem Niveau zu fahren – um dann plötzlich selbst in einem F1-Auto zu sitzen, mit all den Leuten um einen herum, den Mechanikern, den Maschinen … Nach 20 Jahren schließlich in einen Ferrari zu steigen, war eine wirklich emotionale Erfahrung. Mit 21 Jahren war es eher „aufregend” als emotional berührend, denn in mir brodelte es. Wenn man in einen Ferrari steigt, ist es Liebe. Die Verbindung ist anders.
FM: Inwiefern?
LH: Es ist so besonders. Rot ist eine meiner Lieblingsfarben. Bei Ferrari geht es um Geschichte, das Wappen und was es symbolisiert. Die Autos sind Meisterwerke. Und dann hat Italien seine Sprache, seine Kultur, sein Essen. Italiener haben eine ganz eigene Art, ihre Leidenschaft für alles zum Ausdruck bringen. Im Laufe der Jahre sind verschiedene Kulturen und Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hinzugekommen – doch im Herzen bleibt Ferrari italienisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages Teil davon sein würde. Ehrlich gesagt hatte ich mir wegen der kulturellen Unterschiede Sorgen gemacht. Doch dann kommt man hierher und alle sind wirklich sehr aufgeschlossen. Am Ende sind wir alle Menschen. Wenn man eine Verbindung aufbaut, tritt alles andere in den Hintergrund.
FM: Wie schneidet die Scuderia Ferrari HP im Vergleich zu anderen Teams ab?
LH: Die anderen sind etwas weniger … bunt. Sie alle haben ihre Qualitäten, aber die Italiener zeigen ihre Emotionen deutlicher, im Guten wie im Schlechten – aber ich denke meistens im Guten. Die Leidenschaft ist jeden Tag spürbar – zum Beispiel in der Art und Weise, wie die Italiener über Essen sprechen. In England spürt man nicht diese Begeisterung, wenn man zum Beispiel über Fish and Chips spricht.
FM: Hast du damit gerechnet, dass dein Engagement bei Ferrari für so viel Furore sorgen würde?
LH: Ich wusste, dass die Zusammenführung unserer Namen eine große Sache werden würde. Aber es trifft einen trotzdem und man denkt: „Das ist noch stärker, als ich es mir vorgestellt habe.“ Es ist wunderschön und es gibt viele positive Aspekte – aber es ist auch eine Aufgabe, die viel Verantwortung und Druck mit sich bringt. Alle erwarten, dass ich sofort gewinne, aber „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“ (Er denkt eine Zeit lang nach). Wie lange hat das gedauert? Das müssen wir nachschauen.
„Wenn man in einen Ferrari steigt, ist es Liebe“, sagt Lewis. „Die Verbindung ist anders.“
FM: Jeder, der sich mit der Formel 1 auskennt, weiß, dass es Zeit braucht ...
LH: … und das sind nicht viele Leute. Nur wenn man Teil eines Teams ist, versteht man wirklich, wie die Formel 1 funktioniert. Sonst kann man sich nicht vorstellen, wie die Dinge laufen. Ich bin schon so lange in der Formel 1, aber als ich zu diesem Team kam, war ich nochmal mit einer ganz anderen Situation konfrontiert. (Er macht eine weitere Pause). Deshalb mach ich niemandem einen Vorwurf, der es nicht versteht. Das Einzige, was ich tun kann, ist, mich weiterhin auf die Dinge zu konzentrieren, die ich kontrollieren kann. Wie ich mich vorbereite und mit dem Team zusammenarbeite. Wie ich jeden Tag auftrete und positiv bleibe.
FM: In diesem Jahr jährt sich der erste Meisterschaftssieg von Niki Lauda mit Ferrari zum 50. Mal. Du warst ihm sehr nahe. Wie hat er dich geprägt?
LH: Als ich zur Formel 1 kam, war Niki Teil einer Welt, die nicht zur meiner Andersartigkeit passte und ich hörte viel Negatives. Dennoch habe ich ihn als dreifachen Weltmeister immer bewundert. Er ist eine wahre Legende in unserem Sport. Dann erhielt ich eines Tages einen Anruf von ihm: Er wollte mich überzeugen, zu seinem Team [Mercedes] zu kommen, und als wir uns dann endlich trafen, hatten wir ein wirklich gutes Gespräch. Er sagte: „Du bist genau wie ich, du bist durch und durch ein Rennfahrer.“ Erst nach diesem Treffen fielen die Barrieren zwischen uns und eventuelle Vorurteile, die er mir gegenüber hatte, wurden ausgeräumt. Von da an sind wir immer zusammen zu den Wettkämpfen gereist, und er hat mich oft mit dem Flugzeug mitgenommen.
FM: Haben Sie ihn verändert?
LH: Ich denke, wir haben uns gegenseitig verändert. Er hatte die besten Geschichten und wir haben so viel zusammen gelacht. Und er war ein Kämpfer, buchstäblich bis zum letzten Atemzug. Es war für mich unglaublich zu sehen, wie hart er kämpfte. Wir schickten uns gegenseitig Videonachrichten und bis zum Schluss kämpfte er und sagte: „Ich komme zurück …“ Dafür habe ich ihn geliebt.
FM: Ist es für einen F1-Fahrer hilfreich, die Geschichte des Sports zu kennen?
LH: Wissen ist Macht. Daher ist es sicherlich kein Nachteil. Jemand wie Seb [Vettel] kennt die Geschichte der Formel 1 viel besser als ich. Ich bin mit einer Leidenschaft für Autos im Allgemeinen aufgewachsen, aber es gab auch viele andere Dinge, die mich begeisterten. Musik war schon immer eine große Passion. Alles Kreative ist für mich eine Möglichkeit, auszubrechen. Die meisten Kleidungsstücke, die ich trage, entwerfe ich selbst.
Lewis Hamilton trägt einen Ferrari SS26 Zweireiher aus Delavé-Leinentwill, darunter ein leichtes Strickoberteil
FM: Was antwortest du denen, die behaupten, dass all deine Freizeitaktivitäten eine Ablenkung sind?
LH: Es geht nicht um Ablenkung. Jeder wird auf die eine oder andere Weise abgelenkt. Was zählt, ist, wie man seine Energie einsetzt und ein Gleichgewicht schafft. Man braucht einen kreativen Ausgleich. Man kann nicht jede Stunde seines Lebens arbeiten, denn dann wird man unglücklich. Doch wie finden wir Dinge, die uns inspirieren und motivieren? Eine Möglichkeit besteht darin, unsere Kreativität zu nutzen.
FM: Deine Stiftung Mission 44 setzt sich für Vielfalt ein und verbessert die Bildung und das Angebot an Schulen. Bist du mit den erzielten Fortschritten zufrieden?
LH: Die Arbeit hört nie auf. (Er hält inne). Ich hatte das Glück, Nelson Mandela kennenzulernen. Bis zu seinem letzten Tag hat er sich für andere stark gemacht und gekämpft. Leadership erfordert Bestimmtheit. Lass dich nicht auf das Niveau herab, auf dem dich manche Menschen gerne halten möchten. Wie Michelle Obama sagte: „They go low, we go high” – auf niedriges Niveau antworten wir mit Stil. Jedes Mal, wenn ich neue potenzielle Partner treffe, frage ich, was sie unternehmen, um eine positive Wirkung zu erzielen. Das wird eine lebenslange Herausforderung für mich sein. Und sicherlich werde ich auf meinem Weg auch andere Kämpfe führen müssen.
FM: Du hast auch eine Filmproduktionsfirma gegründet, Dawn Apollo Films. Und sie ist schon ganz vorne mit dabei, mit dem Film „F1“. Herzlichen Glückwunsch …
LH: Vielen Dank. Ich bin so glücklich darüber … es war unglaublich, wirklich an diesem Film mitwirken zu können und so intensiv in den Prozess eingebunden zu sein. Joe [Kosinski, der Regisseur des Films] kam auf mich zu und sagte: „Ich denke darüber nach, diesen Film zu drehen, und würde gerne Brad Pitt dafür gewinnen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten wir ihn noch nicht engagiert. Ich habe dabei geholfen, einige Schwierigkeiten zu bewältigen, und war praktisch bis zum Abspann an dem Projekt beteiligt. Zudem habe ich beim Schnitt mitgeholfen, mir Ausschnitte des Films auf meinem Laptop angesehen und Notizen gesendet. Ich habe Hans Zimmer in seinem fantastischen Studio in Santa Monica getroffen. Das waren tolle vier Jahre und ein echtes Privileg.
FM: Gibt es bereits eine vollständige Liste der geplanten Projekte?
LH: Wir haben einige Ideen. Diese müssen noch reifen, doch das Geschichtenerzählen ist etwas, das mich wirklich begeistert. Angesichts der dunklen Zeiten, in denen wir leben, brauchen wir mehr denn je inspirierende Geschichten. Ich liebe Comedy und habe eine ganz bestimmte Idee für eine Fernsehsendung. Ich arbeite an ein paar Ideen für Animationsfilme und seit dem Erscheinen des Films über die Formel 1 können wir uns vor neuen Projektvorschlägen kaum retten – es ist verrückt. Aber es geht nicht darum, möglichst viele Projekte zu machen. Ich halte es eher mit Quentin Tarantino: Qualität statt Quantität.